Rechtsausleger – Wirklich nur Langweiler?
Hartmut Scherzer
Siebenmal schon gewann Henry Maske die Halbschwergewichts-Weltmeisterschaft. Trotzdem gibt’s oft Diskussionen um seinen Box-Stil als Rechtsausleger. Ganz anders beim zweiten deutschen Weltmeister: Linksausleger Dariusz Michalczewski.
Rechtsausleger sind Boxer, die „verkehrt“ stehen. Das heißt: In der Grundstellung schieben sie das rechte Bein und damit die ganze rechte Körperseite nach vorn. Die rechte ist die Führhand, die linke die harte Schlaghand.
Sind Rechtsausleger beliebt?
In den USA ist diese Grundstellung mit dem „falschen Fuß nach vorn“ verpönt. Jungen, die boxen lernen, werden in den „Gyms“ sofort „umgedreht“. Ein „southpaw“ (wörtlich übersetzt: Südpfote), ein aus dem Baseball übernommener Begriff für Linkshänder, gilt in den USA als „Stinker“, weil der Stil meist defensiv und sperrig ist.
Sind Rechtsausleger im Vorteil?
In gewisser Weise ja, weil sie in der Minderheit und daher von Anfang an daran gewöhnt sind, gegen „normale“ Boxer anzutreten. Die tun sich mit der Umstellung auf die seltene Rechtsauslage ihrer Gegner schwer. Selbst Muhammed Ali hatte Probleme mit Linkshänder Karl Mildenberger beim WM-Kampf 1966 in Frankfurt, ehe er in der zwölften Runde durch Abbruch gewann. Amerikanische Boxer kommen mit Maskes Rechtsauslage nicht zurecht.
Worin liegt das Problem?
Der Normalausleger, der es gewohnt ist, sich rechtsherum um den Gegner zu bewegen, muss nun im Uhrzeigersinn um ihn kreisen, weg von dessen linker Schlaghand. Beim Kampf Normal- gegen Rechtsausleger kreuzen sich die störenden Führhände auf der einen Seite, die Schlaghände haben auf der anderen freie Bahn. Intelligente Rechtsausleger mit Reaktionsvermögen und Instinkt entwickeln daraus eine lauernde, gefährliche Kontertaktik.
Was sind die Paradebeispiele?
Einst Konterboxer Gustav „Bubi“ Scholz. Auch Maske ist Meister der Defensive. Viele der erfolgreichsten deutschen Boxer waren bzw. sind Rechtsausleger: die Weltmeister Graciano Rocchigiani und Henry Maske, die Europameister Karl Mildenberger, Lothar Abend, Peter Weiland, Peter Hussing, Gustav Scholz, Willy Hoepner, Willy Quastor, Torsten May.
Gibt es Rechtsausleger unter den Schwergewichts-Weltmeistern?
Michael Moorer, der den Titel im November 1994 durch K.o. an George Foreman verlor, war der erste „southpaw“ in der über hundertjährigen Geschichte der Schwergewichts-WM. Beweis, wie außergewöhnlich Rechtsausleger in den USA waren und sind. Noch 1978 zählte die Boxfibel „The Ring“ unter den Besonderheiten der Boxgeschichte, auf einer Seite mit Vätern und Söhnen und Zwillingsbrüdern im Ring, die „Southpaw Champions“ auf: Es waren insgesamt 17 in allen Gewichtsklassen (damals zehn), darunter gerade sechs Amerikaner.
Was ist die beste Taktik gegen Rechtsausleger?
Linker Haken über die rechte Führhand des Rechtsauslegers zum Kopf, sagen die meisten Trainer. Oder die ansatzlos geschlagene rechte Gerade, meinen andere. Doch Achtung: Es droht Kontergefahr!
Was passiert, wenn zwei Rechtsausleger aufeinandertreffen?
Beide stehen nun selbst vor den gleichen Umstellungsproblemen – nur andersherum – wie Normalausleger, gegen die sie sonst antreten. Zwei lauernde Rechtsausleger gegeneinander – das kann leicht ein mieser Kampf werden. Es sei denn, einer die bedingungslose Offensive wie einst der Schwabe Max Resch gegen Gustav Scholz. In diesem sensationellen Kampf um die Deutsche Mittelgewichts-Meisterschaft am 3. Mai 1958 ging Resch vierzehnmal zu Boden, ehe in der vierten Runde das Handtuch flog. Aber auch Scholz, von einer schweren Linken am Kinn getroffen, musste zwischendurch auf die Bretter.
Ort: Westfalenhalle Dortmund. 37 Jahre später, am 27. Mai, können hier wieder zwei deutsche Rechtsausleger der Extraklasse boxen: Maske und Rocchigiani.
In: Sport-Bild, 22. März 1995, Seite 48