Der linke Fuß macht reich

Jörg Althoff

Linksfüßer sind im Fußball rar – nur 72 der rund 400 Bundesliga-Spieler schießen mit dem linken Fuß. Linksfüßer sind deshalb begehrt. Beispiele: Münchens Ziege wurde vom AC Mailand geholt. Für Dortmunds Heinrich (links wie rechts gleich gut) bot Juventus Turin im Sommer 18 Millionen Mark. Und Werder Bremen ist ohne den am linken Fuß operierten Herzog Abstiegskandidat.

In den siebziger Jahren wurde Wolfgang Overath weltberühmt, weil er mit links geniale Pässe schlagen konnte wie andere nicht einmal mit rechts. „Eine Gabe, die der Herrgott mir gegeben hat“, sagt der Weltmeister von 1974. „Die hatte schon damals Seltenheitswert.“ Begnadete Linksfüßer stehen noch immer für bezaubernden Fußball, wie Krassimir Balakov in Stuttgart oder Abédi Pele bei 1860 München. Aber mehr denn je profitieren Spieler, die mit links schießen können, von ihrem seltenen Talent.

Der Psychologe Ivo-Kurt Cizek von der Beratungsstelle für Linkshänder in München hat bei jahrelangen Forschungen festgestellt: „Linksfüßer sind die genialeren Fußballer, weil sie eine Bessere Raum-Wahrnehmung haben.“

Die Gnade des linken Fußes. Nur 72 von rund 400 Bundesliga-Profis haben sie von Geburt an, die meisten von ihnen sind überdurchschnittlich gut. Nürnbergs Trainer Felix Magath, selbst ein Linksfuß, sagt: „Profis mit Spielwitz sind meist Linksfüßer. Sie sind extravagant und machen deshalb extravagante Dinge.“ Magaths Nachfolger in Hamburg, Frank Pagelsdorf, ist aufgefallen: „Linksfüßer sind im Vergleich zu Rechtsfüßern meist viel besser und deshalb oft die Regisseure.“

Weil diese Spieler aber so rar sind, hat das Wort „Seltenheitswert“ (Overath) für sie eine neue Bedeutung bekommen. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Auf den einfachen Nenner gebraucht: Der linke Fuß macht begehrt und reich.

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Der Rostocker Sergej Barbarez hat seine fünf Saison-Tore mit links geschossen und erzählte von acht Angeboten, die ihm vorlagen. Gibt es bessere Voraussetzungen für das Pokern um mehr Geld?

Der Ex-Rostocker Stefan Beinlich etwa verbesserte mit dem Wechsel nach Leverkusen sein Gehalt von 850.000 auf 1,6 Millionen Mark. Für Jörg Albertz` „linke Klebe“ zahlen die Glasgow Rangers jährlich 1,7 Millionen netto, und Christian Ziege lässt sich seinen linken Fuß in Mailand mit 3 Millionen Mark pro Saison vergolden. Sein Nachfolger beim FC Bayern, Michael Tarnat, verdient 2,3 Millionen Mark. Auch der sozusagen „mit links“.

Für Werner Lorant von 1860 München sind solche Summen eine vertretbare Investition. Mit Pelé, Nowak, Bender, Walker, Heldt, Böhme und Malz kann er gleich sieben Profis der seltenen Linksfuß-Spezies aufstellen. „Je mehr man von ihnen hat, desto schwerer ist man auszurechnen“, sagt er. „Man kann über beide Seiten gleich stark angreifen oder verteidigen. Und Linksfüßer machen eher geniale Dinge als Rechtsfüßer. Ihre Technik und ihr Bewegungsablauf sind für die Gegner, die ja meist Rechtsfüßer sind, unnormal. Deshalb können die schlechter darauf reagieren.“ Lorant stellt sich die ideale Zusammensetzung einer Fußballmannschaft so vor: „Eine Hälfte Rechtsfüßer, die andere Linksfüßer.“

Die Statistik (SAT1-„ran“-Datenbank) bestätigt den „Löwen“-Trainer: 11 von 21 Toren (52,4 Prozent) bereitete seine Mannschaft über links oder halblinks vor. Hingegen wurden nur 5 Treffer auch tatsächlich mit dem linken Fuß erzielt. Klar, Lorants „Linke“ sind bis auf Verteidiger Walker allesamt Mittelfeld-Strategen, jedoch keine treffsicheren Schützen… Wie wichtig hingegen ein torgefährlicher linker Spielmacher ist, spürt besonders Werder Bremen, seit Andreas Herzog verletzt ist. Vorige Saison schoss er 15 Tore mit links und dirigierte das Bremer Spiel vornehmlich über die linke Seite. Werder leitete von allen Teams die meisten Treffer über links ein (58,5 Prozent) und schoß die meisten Tore mit links (54,7 Prozent). Heute sind die Bremer auch in diesen Tabellen (siehe unten) nicht mehr oben. Linksfuß Herzog fehlt nicht nur als Vorbereiter, vielmehr noch als Vollstrecker.

Der VfB Stuttgart ist jetzt die „linkeste“ Mannschaft der Bundesliga. In positivem Sinn. 14 von 30 Toren wurden über die linke Seite vorbereitet. 12 Treffer mit links erzielt. Was jedoch weniger mit Begabung als mit Bemühen zu tun hat. Denn, nur 5 Toren schoß der geniale Balakov, neben Poschner der einzige Linksfuß in der Stammelf. „In der heutigen Zeit wird es immer wichtiger, dass die Spieler beide Füße trainieren“, sagt Trainer Joachim Löw. Das Ergebnis der Arbeit: Auch Rechtsfüßer wie Bobic, Berthold oder Akpoborie treffen neuerdings mit dem vormals schwachen Fuß. In der DDR war das beidfüßige Training schon früher eine Selbstverständlichkeit. Berti Vogts versucht, es jetzt auch bundesweit durchzusetzen. Aber ein Links-Genie wie Overath meint, die Profis sollten sich besser auf ihre naturgegebene Stärke konzentrieren. „Der Linksfüßer wirkt eleganter und fällt deshalb eher auf als ein Rechtsfüßer. Ich habe nie meinen rechten Fuß trainiert, sondern stets darauf geachtet, meinen linken noch stärker zu machen.“ Dass Beidfüßigkeit jedoch besonders im modernen Fußball wertvoll ist, zeigt das Beispiel Jörg Heinrich (früher Frankfurt/Oder) bei Borussia Dortmund. Juventus Turin wäre er im Sommer 18 Millionen Mark Ablöse wert gewesen, aber Dortmund tat gut daran, den Nationalspieler zu halten. Heinrich kann auf beiden Seiten spielen, wenngleich er es auf der linken effektiver tut. Dortmund hat 65,2 Prozent aller Tore über links vorbereitet. Wenigstens hier liegt Borussia derzeit in der Spitzengruppe.

Der Prototyp des beidfüßigen Profis ist Kaiserslauterns Brehme. Es sieht so leicht aus, was der Weltmeister von 1990 mit links macht. Aber als Rechtsfüßer musste er sich die Stärke des linken Fußes schwer erarbeiten: „In der Jugend hat mir mein Vater bei jedem Training die Bälle abwechselnd rechts und links zugeworfen. Dadurch ist mein schwächerer linker Fuß so stark wie der rechte. Mit links schieße ich härter, mit rechts plazierter, zum Beispiel alle Elfmeter. Das ist, als ob ich eine Waffe wähle, je nach Bedarf.“

Was für Brehme der Vater, war für Lothar Matthäus Trainer Trapattoni. Brehme erinnert sich an die gemeinsame Zeit bei Inter Mailand: „Der Lothar durfte im Training nur mit links spielen, weil das sein schwacher Fuß war.“ Mit dem schoß Matthäus danach so ein berühmtes Tor wie das 1:0 gegen Jugoslawien bei der WM 1990.

Andreas Brehme: „Natürlich profitieren heute diejenigen, die von Geburt an einen starken linken Fuß haben, weil es nur wenige von ihnen gibt. Jedem, dem diese Fähigkeit nicht in die Wiege gelegt wurde, rate ich, mit links zu üben. Täglich 15 Minuten reichen. Dadurch wird man zwar nicht gleich genial – aber es macht sich bezahlt…“

In Karlsruhe und Stuttgart geht es ganz link zu…

Der Karlsruhe SC hat eine ganz starke linke Seite – steckt aber mitten im Abstiegskampf. Stuttgart erzielt rund 40 Prozent seiner Tore über links – dank Krassimir Balakow. Auch Dortmund ist linkslastig – dahinter steckt Jörg Heinrich
(Daten: SAT.1 – „ran“, Stand: 20.11.97).

 

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Tore mit links erzielt
TabellenplatzVereinTore mit links erzielt % mit links erzielt
1.Stuttgart123040,0
2.Bielefeld61735,3
3.Dortmund82334,8
4.Köln62128,6
5.Bayern93228,1
6.Hertha51827,8
7.Bochum51926,3
8.Leverkusen72825,0
Karlsruhe62425,0
Bremen41625,0
11.Rostock62524,0
12.1860 München52123,8
13.Kaiserslautern83423,5
Schalke41723,5
15.Hamburg42119,0
16.Wolfsburg31816,7
17.Gladbach42714,8
18.Duisburg22010,0

 

Tore über links und halblinks eingeleitet
Tabellen-platz
Verein
Tore über links/halblinks
Gesamt
% über links/halblinks
1. Karlsruhe 16 24 66,7
2. Dortmund 15 23 65,2
3. Bochum 11 19 57,9
4. Bremen 9 16 56,3
5. Schalke 9 17 52,9
Bielefeld 9 17 52,9
7. Hamburg 11 21 52,4
1860 München 11 21 52,4
9. Rostock 12 25 48,
10. Stuttgart 14 30 46,7
11. Leverkusen 13 28 46,4
12. Duisburg 9 20 45,0
13. Gladbach 12 27 44,4
Hertha BSC 8 18 44,4
15. Bayern 14 32 43,8
16. Köln 8 21 38,1
17. Kaiserslautern 12 34 35,3
18. Wolfsburg 6 18 33,3

 

Tore über links erzielt
Tabellen-platz Verein Tore mit links Gesamt % über mit links
1. Stuttgart 12 30 40,0
2. Bielefeld 6 17 35,3
3. Dortmund 8 23 34,8
4. Köln 6 21 28,6
5. Bayern 9 32 28,1
6. Hertha BSC 5 18 27,8
7. Bochum 5 19 26,3
8. Leverkusen 7 28 25,0
Karlsruhe 6 24 25,0
Bremen 4 16 25,0
11. Rostock 6 25 24,0
12. 1860 München 5 21 23,8
13. Kaiserslautern 8 34 23,5
Schalke 4 17 23,5
15. Hamburg 4 21 19,0
16. Wolfsburg 3 18 16,7
17. Gladbach 4 27 14,8
18. Duisburg 2 20 10,0

… und noch andere linke Dinger

Wichtige und schöne Tore – für Deutschland werden sie oft mit links geschossen. So das Golden Goal von Oliver Bierhoff bei der EM im vergangenen Jahr.

Gerade England scheint deutsche Spieler besonders zu animieren, historische „Links-Tore“ zu erzielen. So Lothar Emmerich mit einem Traumschuss, mit dem er im Gruppenspiel gegen Spanien bei der WM 1966 fast von der Außenlinie den Ball mit dem linken Außenrist in den Winkel drosch. Und Spielmacher Wolfgang Overath erzielte fast alle seine 17 Länderspiel-Tore (bei 81 Einsätzen) mit dem starken linken Fuß.

 

Wissenschaftlich erwiesen:

Die „Linken“ sind genialer

Ein Grund: Die rechte Gehirnhälfte ist besser durchblutet.
 

SPORT-BILD: Frau Dr. Sattler, Linkshänder und -füßer sind die genialeren Sportler. Diese These wird Rechtshändern und -füßern nicht gefallen.

BARBARA SATTLER: Es ist aber wissenschaftlich bewiesen. Besonders trifft es bei Fußball, Tennis zu, auch beim Schießen und Fechten.

SPORT-BILD: Das müssen Sie erklären.

BARBARA SATTLER: Linkshänder sind immer auch Linksfüßer. Diese Menschen denken vernetzter. Das heißt einfach gesagt, sie können die Abfolge mehrerer Ereignisse mit einem Gedanken erfassen. Der Rechtshänder denkt chronologischer.

SPORT-BILD: Also ist der „Linke“ auch der bessere Schachspieler?

BARBARA SATTLER: Strategisches Denken gehört zu den stark ausgeprägten Persönlichkeits-Eigenschaften der Linkshänder. Das ist zum Beispiel ein Vorteil für einen Spielmacher beim Fußball. Mehr noch: Der Linksfüßer nimmt Räume intuitiv und dreidimensional wahr. Das bedeutet, er ist in der Lage, schneller zu reagieren und einen Schuß präziser zu plazieren.

SPORT-BILD: Hat das anatomische Gründe?

BARBARA SATTLER: Motorik und Wahrnehmungsvermögen beim Linksfüßer werden von der rechten Gehirnhälfte gesteuert, weil die Nervenstränge über Kreuz laufen. Und die rechte Gehirnhälfte ist besser durchblutet.

SPORT-BILD: Wirkt sich das nur auf Bewegungsabläufe aus?

BARBARA SATTLER: Auch auf Persönlichkeitsmerkmale. Rechtsseitig gesteuerte Menschen, also Linkshänder wie Napoleon oder Churchill, zeichnen sich zum Beispiel durch strategisches Genie, Ideenreichtum aus, aber auch durch Einzelgängertum.

SPORT-BILD: Aber es gibt doch auch hervorragende Sportler, die Rechtshänder bzw. -füßer sind?

BARBARA SATTLER: Aber „Linke“ haben naturgegeben die besseren Voraussetzungen. Was dann später daraus wird, hängt von jedem Menschen selbst ab.

 

Interview: Jörg Althoff

Dr. Barbara Sattler

Psychologin, 43 Jahre alt, betreibt in München eine Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder. Es ist die einzige Anlaufstelle dieser Art in der gesamten Bundesrepublik Deutschland.

Ihre Bücher zum Thema:

Das linkshändige Kind in der Grundschule.

Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn.

Übungen für Linkshänder

(alle erschienen im Auer-Verlag, Donauwörth).

 

In: Sport-Bild, Nr. 48, 26. November 1997, Seite 36 ff.
© Copyright: Jörg Althoff