mit Ausführungen und Spiel auf
seinem gespiegelten Linkshänderklavier
Bad Soden-Salmünster am 18.9.09
Übersetzung aus dem Englischen Eva Hartmann
Das Highlight der diesjährigen Fachtagung dürfte für die meisten von uns der Klavierabend mit dem aus England extra angereisten Pianisten, Christopher Seed gewesen sein. Schon am Donnerstag kam er mit einem Kleintransporter aus England und sein Instrument wurde aufgebaut, damit es sich 24 Stunden akklimatisieren konnte. In Reichweite gegenüber stand ein normales Klavier, so dass für Christopher Seed die Möglichkeit gegeben war, beliebig zwischen beiden Instrumenten zu wechseln. Freitagabend wurde Christopher Seed im gut gefüllten Saal des Kress Hotels in Bad Soden-Salmünster von Frau Dr. Sattler offiziell begrüßt. Zur Einstimmung las sie eine kurze Passage aus dem Buch „Wolfssonate“ der französischen Pianistin Hélène Grimaud vor, die dort über ihre eigene Linkshändigkeit und ihre Vorliebe für die Musik von Chopin berichtet und über seine Betonung der linken Hand in seinen Kompositionen. Diese Teile wurden von Eva Hartmann aus der englischen Version des Buches vorgelesen, so dass Christopher Seed auch teilnehmen konnte. Eva Hartmann übersetzte dann die Ausführungen von Seed ins Deutsche, so dass auch diejenigen, die des Englischen nicht so mächtig waren, alles verstehen konnten. Auf die klavierspielenden Hände von Seed war eine Videokamera gerichtet und diese projizierte zeitgleich sein Spiel auf eine Leinwand, so dass alle Anwesenden seine Hände verfolgen konnten.
Wir hatten die einzigartige Gelegenheit, Christopher Seed im Verlaufe des Abends die folgenden Musikstücke vortragen zu hören:
- Joh. Seb. Bach, Französische Suite Nr.5, Allemande und Gavotte (Rechtshänderklavier)
- Joh. Seb. Bach , Partita Nr.1, Präludium, zwei kleine Menuette, Sarabande (Linkshänderklavier)
- W. A. Mozart, Klavier-Sonate c-Moll KV 457 (Rechtshänderklavier)
- Franz Schubert, Drei Klavierstücke D 946 (Linkshänderklavier)
Allerdings spielte er nicht nur, sondern sprach auch über sein Instrument und dessen Besonderheiten. Er berichtete über seine Geschichte und was ihn dazu bewogen hatte, ein gespiegeltes Klavier bauen zu lassen. Das macht er normalerweise in allen seinen Konzerten, um den Zuhörern dieses ganz besondere Instrument nahe zu bringen. Auf wunderbar menschliche, ruhige und oft humorvolle Weise wurden alle Fragen beantwortet, mit größter Kompetenz und Selbstverständlichkeit. Es war dann unglaublich faszinierend zu sehen und zu hören, wie problemlos er von einem zum anderen Klavier wechselte, eine Passage von Mozart erst auf dem Rechtshänderklavier spielte und dann spiegelbildlich auf seinem Klavier. Zu unserem Vergnügen spielte er die Passage dann auch noch auf dem Linkshänderklavier im Fingersatz des Rechtshänderklaviers, also so, als sei es ein Rechtshänderklavier. Er nannte das „rückwärts“ spielen. Das verfremdete das Stück völlig und ließ es sehr komisch klingen. Somit war es nicht nur ein lehrreicher, sondern auch ein sehr vergnüglicher Klavierabend.
Geschichte des Linkshänderklaviers
Der Begriff „Klavier“ war ursprünglich ein Sammelbegriff für Tasteninstrumente allgemein. Seit ca. 1800 ist es die spezialisierte Bezeichnung für Tasteninstrumente, deren Saiten durch Hämmerchen angeschlagen werden (Hammerklavier). Diese werden auch Fortepiano oder Pianoforte, kurz Piano genannt, weil auf ihnen laut und leise gespielt werden kann, im Gegensatz zu früheren Tasteninstrumenten.
Vom Piano sind zwei Hauptformen zu unterscheiden, der Flügel und das Pianino, das seit der 2. Hälfte des 19. Jh. als Klavier schlechthin gilt.
Der Flügel hat ein waagerecht auf Beinen ruhendes Gehäuse in Flügelform, die Saiten sind also waagerecht gespannt, kurze Saiten für hohe Töne rechts, lange Saiten für tiefe Töne links. Allerdings kreuzen sich die Saiten über dem Resonanzboden, wodurch zusätzliche Resonanz erzeugt wird und kürzere Flügel ermöglicht wurden. Im Klavier sind die Saiten dagegen senkrecht gespannt und natürlich auch gekreuzt, so dass das Instrument erheblich weniger Platz beansprucht[1].
Das Instrument von Christopher Seed ist streng genommen ein Hammerflügel. Die Saiten sind waagerecht gespannt, aber hier natürlich spiegelbildlich: die kurzen Saiten für hohe Töne links, die langen Saiten für tiefe Töne rechts. Und sie sind nicht gekreuzt, so dass im Klang ein Resonanzfaktor wegfällt, das Instrument also verhältnismäßig lang ist und einen verhältnismäßig leisen Klang hat. Auch die Pedale sind spiegelbildlich angeordnet. Zum Glück sei er auch Linksfüßer, erklärte Christopher Seed.
Bei seinem Klavier handelt es sich um einen originalgetreuen gespiegelten Nachbau eines Hammerflügels von Conrad Graf aus Wien aus dem Jahre 1826, 1998 eigens für ihn hergestellt von der Firma Poletti/Tuinman Fortepiano Makers of Holland in Utrecht. Der Bau des Instruments dauerte zehn Monate. Bis hin zum Kleber wurden dem Original entsprechende Materialien verwendet. Es hat noch keinen Eisenrahmen, was auch die relativ problemlose Transportmöglichkeit erklärt. Erst um 1825 begann man überhaupt, Eisenrahmen für Klaviere bzw. Flügel zu gießen, um den enormen Zug der Saiten besser auffangen zu können.
Besonderheiten des Linkshänderklaviers
Der Tonumfang dieses Klaviers beträgt 6,5 Oktaven, im Gegensatz zu den 8 Oktaven eines normalen Klaviers. Das bedeutet, dass man natürlich nicht alle Stücke darauf spielen kann. Die Hämmer auf den Saiten sind, wie damals üblich, aus Leder und nicht, wie 1826 eingeführt und bis heute üblich, aus Filz. Dadurch, dass die Saiten nicht gekreuzt sind, fehlt die Resonanzfähigkeit der Saiten untereinander, so dass sich der Klang des Klaviers deutlich unterscheidet von dem eines modernen Klaviers. Er ist zarter und trockener und hat nicht so viele Modulationsmöglichkeiten. Die Tasten sind etwas kürzer und etwas schmaler als bei heutigen Klavieren, und der Anschlag ist leichter, fragiler, erinnert noch etwas an den Anschlag eines Klavichords, den Vorläufer des Hammerklaviers. Christopher Seed empfindet diese Anschlagsart als angenehmer, sie erfordere weniger Anstrengung als die auf einem normalen Klavier, aber man müsse sehr kontrolliert spielen. Mozarts Klaviere seien im Übrigen noch kleiner und sozusagen „primitiver“ gewesen.
Beim Spielen des Linkshänderklaviers werden die Noten nicht verändert. Jedoch spielt die linke Hand die obere Notenreihe und die rechte die untere, also genau umgekehrt wie normalerweise. Die Mitte des Klaviers liegt bei der Taste d’ statt bei c’, die Tasten haben folglich andere Namen (vgl. Skizze). Christopher Seed erläuterte das an C-Dur – c, e, g, das ist auf dem gespiegelten Klavier aber a-Moll – e, c, a. Wichtig ist, dass die Fingersätze die gleichen bleiben.
Gründe für den Bau dieses Klaviers
Als linkshändiger Pianist hat Christopher Seed sich sein gespiegeltes Klavier aus physikalischen Gründen bauen lassen. Er erzählte, dass während des Studiums sein Klavier-Professor meinte, er solle doch üben, mit der rechten Hand die linke Hand zu kopieren, weil die linke einfach besser war. Das klappte aber nicht wirklich, obwohl er es auf alle Arten probierte, sogar vor dem Spiegel. Die Rechte ließ sich entwickeln, aber die Linke blieb die bessere Hand.
Infolgedessen vermied er es, Musik zu spielen, die die rechte Hand besonders betont. Damit war seine bessere linke Hand natürlich nicht ausreichend ausgelastet. Daraufhin hat er mit elektronischen Keyboards experimentiert, um auszuprobieren, ob er die Rolle der Hände vertauschen kann. Irgendwann war er in einem Konzert von Stefan Ashkenazy, der Schumann spielte. Christopher Seed hörte mit geschlossenen Augen zu und plötzlich kam ihm die Idee, spiegelbildlich zu spielen. Er fühlte es quasi in seiner starken linken Hand. Auf dem Keyboard klappte das dann sehr schnell und auf dem gespiegelten Klavier dauerte es nur ca. vier Monate bis zu seinem ersten Konzert. Sein Spiel habe sich schlagartig verbessert und sei ihm viel natürlicher erschienen.
Christopher Seed hinterfragte die Aussage, dass man automatisch denkt rechte Hand müsse die hohen Töne und die linke Hand die tiefen Töne spielen. Für ihn mache das keinen großen Sinn, denn er drehe das im Kopf einfach um. Überhaupt sei die Frage, was „hoch“ und „tief“ in der Musik eigentlich bedeute. Wichtiger sei doch die Beziehung zwischen der Notation der Musik und der geistigen und physischen „Übersetzung“ durch den Pianisten. Es gebe viele Menschen, die linkshändige Instrumente spielten, bei denen also die linke Hand die Führungshand sei. Als Beispiel nannte er Jimi Hendrix. Wenn man sich entscheide, etwas zu tun, was aus der Reihe fällt, sei das eine Herausforderung für die Norm. Für ihn sei es sehr hilfreich, in verschiedene Richtungen, also in spiegelbildlicher Symmetrie, zu üben, abwechselnd auf dem normalen und dem gespiegelten Klavier und er habe sich an dem gespiegelten Klavier Stücke erarbeitet, die ihm auf dem Rechtshänderklavier verschlossen waren.
Bemerkungen zu den Musikstücken
Christopher Seed begann sein Vorspiel mit einigen Stücken von Joh. Seb. Bach. Zum einen habe dieser Komponist keine Handpräferenz, zum anderen habe er polyphone Musik geschrieben. Das heißt, er verwendet in seinen Stücken u.a. die Kompositionstechniken Krebs (eine Melodie vertikal gespiegelt, also rückwärts notiert) und Spiegelung (Umkehrung, horizontal gespiegelt), was dem Spiel auf dem gespiegelten Klavier entgegenkommt. Es war erstaunlich, wie stark der Klangcharakter der Stücke sich änderte, je nachdem auf welchem Instrument sie gespielt wurden.
Es folgte eine Mozart-Sonate, die Christopher Seed eigens für diesen Abend eingeübt hatte. Er spielte sie auf dem Rechtshänderklavier, nachdem er vorher schon einige Ausschnitte daraus zum Vergleich auf beiden Klavieren gespielt hatte. Zum Abschluss spielte er drei kurze Stücke von Schubert auf dem Linkshänderklavier. Sie wurden 1826 komponiert, also genau in dem Jahr, in dem das Original seines Klaviers gebaut wurde. Sie werden dann damals bei Schubert in etwa auch so geklungen haben wie heute auf dem Instrument bei Christopher Seed. Dann gab er einzelnen Zuhörern die Möglichkeit an seinem Linkshänderklavier das gespiegelte Spiel auszuprobieren und beantwortete geduldig alle unsere Fragen.
So endete dieser eindrucksvolle Abend, an den sicher alle noch lange gern zurückdenken werden.
Literaturempfehlung:
Lutz Jäncke, Macht Musik schlau? Neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie. Mit einem Vorwort von Eckart Altenmüller. Verlag Hans Huber Verlag, Bern, 2008
Protokoll von Eva Hartmann
© S-MH Jahresbrief-Broschüre 2009, München, Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder
Fußnote: Zusammenfassung aus: Meyers Taschenlexikon Musik, Band 2. Mannheim, 1984, Stichwort „Klavier“, 164-167.