Rückschulung der Händigkeit bei Erwachsenen

Chancen und Gefahren einer Rückschulung der Händigkeit bei Erwachsenen

Johanna Barbara Sattler

Vorbemerkungen
Unter Rückschulung der Händigkeit wird hier vornehmlich eine Rückführung zum Schreiben auf die ursprünglich dominante Hand verstanden. Wie im folgenden deutlich wird, entstehen auch Umschulungsfolgen bei anderen Tätigkeiten, wenn diese sehr intensiv und unter starker intellektueller Belastung durchgeführt werden. Gegebenenfalls ist auch in diesen Fällen eine vorsichtige Rückschulung notwendig und angebracht.

Da in unserer Gesellschaft eigentlich nur Linkshänder zu verschiedenen Tätigkeiten auf ihre rechte, nicht dominante Hand umgeschult wurden, befasst sich diese Arbeit hauptsächlich mit Linkshändern. In sehr seltenen Fällen kann es auch zur Umschulung von Rechtshändern auf die linke Hand kommen. Meistens geschieht dies jedoch aus äußeren Unumgänglichkeiten wie nach einem Unfall mit Verletzung oder Lähmung der rechten Hand und/oder Arm oder wegen einem Schlaganfall.

Diese Ausführungen beziehen sich vornehmlich auf Erwachsene und Jugendliche. Eine Rückschulung der Händigkeit bei Kindern ist ein sehr komplexes, separat zu behandelndes Thema, denn Kinder stehen in einem besonders komplizierten Beziehungsgeflecht zwischen Familienmitgliedern, Freunden, Pädagogen (Erziehern, Lehrern, Hortbetreuern), eventuell auch Therapeuten. Jedes Kind hat sein ganz eigenes Erscheinungsbild mit seinen körperlichen und psychischen Stärken und Schwächen und aus der Gesamtheit der Gegebenheiten muss die jeweilige Entscheidung getroffen werden. Ohne kompetente fachliche Hilfe ist das oft kaum möglich. Die zu berücksichtigenden Fragestellungen bei so einer Entscheidung über eine für ein Kind meist tiefgreifende Maßnahme sind sowohl von medizinischer, pädagogischer, therapeutischer als auch soziologischer Art.

Selbstverständlich trifft diese Entscheidungsproblematik nicht nur auf Kinder zu, jedoch ist der erwachsene Mensch weit souveräner und letztendlich für sein Handeln selbst verantwortlich. Er kann seine Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche von dem Realisieren einer Rückschulung der Händigkeit besser reflektieren und kennt meist seinen eigenen Körper und seine Psyche besser als ein Kind.

Wünschenswert ist natürlich auch, dass heranwachsende und erwachsene umgeschulte Linkshänder sich Rat und Hilfe bei Fachleuten holen, bevor sie so einen, oft einschneidenden Schritt, wie es die Rückschulung der Händigkeit ist, unternehmen. Da aber noch nicht ausreichend gesicherte, allgemeingültige Erfahrungen zusammengestellt und ausgewertet wurden, und es wenige kompetente Fachleute auf diesem Gebiet gibt, hat man manchmal keine andere Lösung, als eine Rückschulung der Händigkeit vorsichtig allein auszuprobieren. Dabei sollte sich der umgeschulte Linkshänder aber immer bewusst sein, dass er ist dem eigenen Gehirn experimentiert und sichere Voraussagen über Erfolg oder Misserfolg bis heute nicht zu machen sind. Die weiteren Ausführungen sind ein Versuch, Hilfestellungen zu leisten.

Basis und Herleitung der aufgeführten Überlegungen
Seit Entstehung der Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder (1985) in München werden auch Rückschulungen beobachtet und die Ergebnisse gesammelt. Darunter sind bereits über zwölfjährige Longitudinalbeobachtungen und Untersuchungen von umgeschulten Linkshändern, die sich zurückgeschult haben. Mehrere hundert Rückschulungen wurden analysiert und in einer Forschungsstudie werden die Daten von rückgeschulten linkshändigen Kindern und Erwachsenen gesammelt. Eine Arbeitsgruppe befasst sich mit Erfahrungen verschiedener Fachleute über die Rückschulung von betreuten umgeschulten Linkshändern.

Inzwischen kam es aber zu Initiativen durch engagierte Laien, die ihre persönlichen Erfahrungen mit der eigenen Rückschulung der Händigkeit auf alle anderen umgeschulten Linkshänder übertragen und anzuwenden versuchen. Diese Initiativen sind gut gemeint und möchten in einem Bereich helfen, in dem unser Gesundheitssystem (Ärzte, medizinische Therapeuten, Psychologen) und unsere pädagogischen Einrichtungen (Erzieher, Lehrer) bisher wenig bis gar keine Hilfestellungen anbieten. Die Gefahr solcher Initiativen liegt aber in dem meist unzureichenden medizinischen und therapeutischen Wissen der Agierenden und dem undifferenzierten Übertragen eigener Erfahrungen auf eine große, sehr heterogene Menschengruppe.

Im letzten Jahrhundert und auch noch Anfang diesen Jahrhunderts gab es Fälle, in denen sich Ärzte selbst mit Krankheitserregern infizierten, um Symptome und Verlauf der Krankheit zu beobachten und durch die eigene Erfahrung besser diagnostisch beurteilen zu können. Selbstverständlich wurden so für die Medizin wichtige Ergebnisse erzielt. Aber, um wertvolle wissenschaftliche Schlüsse aus der Selbstbetroffenheit ziehen zu können, bedarf es einer immensen wissenschaftlichen Reife und Distanziertheit zum eigenen Erleben. Die Introspektion als wissenschaftliche Methode hat ihre Tücken, mit denen meist nur ausgebildete Fachleute umgehen können. Ansonsten werden eigene Erfahrungen und wesentliche Erkenntnisse bezüglich der untersuchten und durchlebten Probleme nicht wirklich herausgefiltert, sondern es besteht leicht die Gefahr, pauschal zu verallgemeinern. Es ist bekannt, dass aus Gründen des unzureichenden Abstandes viele Ärzte bei eigenen Beschwerden sicherheitshalber Kollegen konsultieren und es wird vor einer Selbstdiagnose und -behandlung gewarnt.

Wenn heute Nichtfachleute, hauptsächlich auf Basis der als positiv empfundenen Erfahrungen mit der Rückschulung ihrer eigenen Händigkeit andere Menschen zur Rückschulung anregen, so bestehen hier große Gefahren. Denn bei keinem Menschen sind die Reaktionen gleich, jeder ist ein absolutes Individuum mit einem eigenen Lebenslauf, Beziehungen, Erfahrungen und Dispositionen zu Krankheiten. Jeder steht in einer persönlichen Lebenssituation, die an ihn spezielle Anforderungen stellt und auf die er individuell reagiert. Diese unterschiedlichen Reaktionen auf eine Rückschulung werden von Menschen, die nur oder vornehmlich meist auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen, oft falsch interpretiert und es kann so oft zu einseitigen Beurteilungen kommen und zu verallgemeinernden, manchmal fast fanatisch vertretenen Einstellungen.

Die Forschung z.B. über Entwicklungen von Heimkindern hat festgestellt, dass es bei praktisch gleichen äußeren Lebensbedingungen zu sehr großen individuell unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann: Auf der einen Seite der unendlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder werden Erwachsene mit gebrochenen Persönlichkeiten daraus, die am Rande der Gesellschaft leben und auf der anderen Seite psychisch völlig stabile Menschen. Hier ist nicht Intelligenz der maßgebliche Faktor (2).

Auch bei unserem bisherigen Wissen aufgrund von gesammelten Daten über Erfolge oder Misserfolge der Rückschulung der Händigkeit kristallisiert sich eindeutig heraus, dass jeder Mensch anders reagiert und der Erfolg bei einem Menschen sich nicht ohne weiteres auf andere Menschen übertragen lässt. Man muss sehr differenziert jede Rückschulung beobachten und beurteilen.

Es kann z.B. nicht angehen, dass jemand, der von seiner eigenen gelungenen Rückschulung der Händigkeit spricht, sich zwar zum Schreiben auf die linke Hand zurückgeschult hat, aber dann hauptsächlich nur noch am Computer arbeitet, also beidhändig und sich handschriftlich kaum noch äußert. Wenn dieser Mensch in der angeblich gelungenen Rückschulungsphase und danach unter geringen intellektuellen Anforderungen steht, also wenig auf diesem Gebiet gefordert ist, dürfen seine Erfahrungen nicht als eine allgemein gültige Reaktionsweise genommen und auf andere unüberlegt bzw. pauschal übertragen werden.

Wenn diese Einzelerfahrungen dann anderen Menschen empfohlen werden, die viel handschriftlich und unter intellektueller Anspannung und beruflichem Stress schreiben müssen, so kann man das als einen unmissverständlichen Angriff auf deren Gesundheit bezeichnen.

Leider muss festgestellt werden, dass es sich bei einer solch fahrlässigen Handlungsweise schon fast um Betrug handelt und dass hier sehr leichtfertig mit dem Schicksal anderer Menschen umgegangen wird.

Vor einem solchen Handeln, auch wenn es noch so überzeugend klingt, möchten wir uns absolut distanzieren, vor ihm hilfesuchende Betroffene warnen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir solche Initiativen nicht unterstützen.

Definition der Rückschulung einer Händigkeit
Rückschulung der Händigkeit bedeutet, dass man bestimmte Tätigkeiten, die von der nicht dominanten Hand alleine ausgeführt werden oder bei denen die nicht dominante Hand bisher die Führung hatte, auf die dominante Hand zurückschult.

Dabei sind besonders zu berücksichtigen

  • die Art der Tätigkeit
  • eine gleichzeitige Verbindung mit anderen Tätigkeiten
  • die Umstände, unter denen die Tätigkeit durchgeführt wird.

Tätigkeiten können relativ einfach und als Bewegungsabläufe fest eingeübt und au-tomatisiert sein. Zum Beispiel schneiden viele Linkshänder mit der rechten Hand, ohne dass daraus schon die gefürchteten Umschulungsfolgen der Händigkeit entstünden (3) .

Steht aber eine Tätigkeit, wie z.B. das Schreiben mit vielen anderen gleichzeitig durchgeführten Aktivitäten des Menschen in Verbindung, so kommt es bei vielen Betroffenen zu Störungen, die sich oft in bleibende Umschulungsfolgen umsetzen.

Schreiben ist ein höchst komplexer Vorgang. Es ist nicht nur die Hand, die die nach außen sichtbaren Buchstaben und Worte formt, sondern im Gehirn laufen gleichzeitig verschiedenste, direkt mit dem Schreibvorgang verbundene Vorgänge ab:

  1. Überlegungen über Orthographie, Grammatik und Interpunktion.
  2. Inhaltliche Überlegungen. Meist steht nicht nur die möglichst klare Formulierung des Gedanken im Vordergrund, sondern oft (in Schule, Ausbildung und Beruf) auch das zügige Abrufen von gelerntem Stoff, Wissen und daraus sich ergebende Schlussfolgerungen. Häufig tauchen auch Assoziationen auf, die Gedankengänge stören und überdecken können.
  3. Emotionale Beteiligung. Ob wir wollen oder nicht, sind wir beim Schreiben mehr oder weniger immer gefühlsmäßig beteiligt. Wir können motiviert sein, wir können unter Berufsstress stehen, wir können uns aber auch ganz einfach plötzlich an Situationen erinnern, die mit dem Inhalt in direkter oder indirekter Verbindung stehen und die unser Denken so stark beschäftigen, dass wir völlig aus dem Konzept kommen. Im Extremfall sind das Erlebnisse oder Ängste, die emotional noch nicht verarbeitet und daher besonders belastend sind.

Diese Faktoren wirken in unterschiedlicher Ausprägung während des Schreibens und belasten das Gehirn auf besonders mannigfaltige Weise.

Dabei spielen auch die Umstände, unter welchen die Tätigkeit mit der Hand durchgeführt wird, eine besonders wichtige Rolle. Muss jemand häufig unter Stress und mit hohen intellektuellen Anforderungen an das Ergebnis schreiben, so werden meist weit massivere Umschulungsfolgen auftreten, als wenn jemand ohne große Anstrengung sich regelmäßig einige Notizen macht. Diese trifft interessanterweise auch auf andere feinmotorisch anspruchsvolle Handlungen zu. In den folgenden Fallbeispielen geht es zunächst darum, zu zeigen, dass auch andere Tätigkeiten, die mit der nicht dominanten Hand durchgeführt werden, beziehungsweise bei denen die nicht dominante Hand die Führung übernimmt, Umschulungsfolgen der Händigkeit verursachen können. In diesem Zusammenhang sind Fallbeispiele und die Folgerungen daraus von größter Wichtigkeit bei der Entscheidung für eine Rückschulung der Händigkeit und der Frage, welche Tätigkeiten alle auf die dominante Hand zurückgeschult werden sollten.

Fallbeispiel: Schlagzeug falsch herum gespielt
Die Geschichte der linkshändigen Corinna H. zeigt sehr überzeugend, wie belastend für sie das Schlagzeugspielen mit der nicht dominanten rechten Führungshand an der Musikhochschule geworden ist. Sie schreibt seit Kindheit immer links und hatte im Alter von etwa 14 Jahren mit dem Schlagzeugspielen in der städtischen Musikschule begonnen. Die rechte Hand wurde als Führungshand eingesetzt. Nach dem Abitur begann sie eine Ausbildung als Schlagzeugspielerin und übte weit mehr und intensiver als je zuvor. Und nun kam es bei ihr sehr schnell zu einem psychischen und physischen Zusammenbruch, für den die Fachleute zunächst keine Erklärung hatten. Das ging so weit, dass sie richtiggehend erkrankte und auch allen Lebensmut verlor und keinen Sinn mehr in ihrem Leben sah. Allmählich wurde aber deutlich, dass die so ungewohnt starke und zeitlich ausgedehnte Belastung der nicht dominanten Hand bei gleichzeitigen intellektuellen Leistungsanforderungen (Notenlesen, Kompositions- und Variationsinterpretationen und vor allem das Zusammenspiel mit anderen) bei dem praktischen Spielen und Üben des Schlagzeugs, verbunden mit den intellektuellen Anforderungen des allgemeinen Studiums zu diesem Zusammenbruch geführt haben könnten.

Corinna H. schulte sich dann mühsam zurück und machte ihre linke Hand zur Führungshand beim Schlagzeugspielen.

Nach zwei bis drei Jahren hat sie ihr vorheriges Leistungsniveau wieder erlangt. Psychisch und physisch hat sie sich relativ schnell erholt.

Fazit: Hier zeigt sich sehr eindeutig, wie unter bestimmten Umständen auch andere Tätigkeiten als nur das Schreiben zu Umschulungsfolgen der Händigkeit führen können, wenn sie zeitlich sehr intensiv und in der Ausführung anspruchsvoll praktiziert werden. Falls bei so einem Menschen dazu noch leichte zerebrale Irritationen kommen, die zwar wegen dem richtigen Handgebrauch in der Schule nicht auffielen und nicht zur Belastung wurden, kann so eine „Umschulung“ noch negativ verstärkt werden. Möglicherweise werden dann im Gehirn Strukturen, die sich von den leichten zerebralen Irritationen schon lange regeneriert haben, aber als empfindliche Stelle noch vorhanden sind, plötzlich wieder negativ aktiv und belasten – vergleichbar mit einer wieder aufgebrochenen alten Wunde – den Betroffenen völlig unerwartet. Vornehmlich betrifft das wohl Gehirnablaufsprozesse.

Ein anderes Beispiel dafür, dass nicht nur das Schreiben mit der nicht dominanten Hand zu Umschulungsfolgen führt, kommt aus dem Berufsfeld des Zahntechnikers. Bei diesem Beruf sind bei bestimmten Materialien verschiedene Abläufe richtunggebunden:

1) Die Drehrichtung der Bohr- und Schleifmaschine ist so angelegt, dass sich bei rechtshändigem Gebrauch der Schleifkolben vom Techniker wegdreht. Wird das Gerät nun in der linken Hand gehalten, dreht sich der Kolben auf den Arbeitenden zu und die abgeschliffenen Teilchen und der Staub wirbeln ihm entgegen.
2) Bestimmte Materialien für Prothesen und Modelle haben eine Faserrichtung, die so verläuft, dass man bei rechtshändigem Gebrauch nicht gegen die Fasern arbeitet. Bei linkshändigem Gebrauch geschieht aber gerade das.

Fallbericht: Die Katastrophe bei der Ausbildung zum Zahntechniker

Der linkshändige Herr M. (er war nicht umgeschult zum Schreiben) begann nach seiner Schulausbildung eine Zahntechnikerlehre. Sein Chef bot ihm sofort an, Bohrer und Schleifgeräte speziell für ihn „umgekehrt herum“ zu beschaffen, so dass er als Linkshänder problemlos arbeiten könnte. Aber Herr M. schämte sich für so viel Aufmerksamkeit, wollte keine Umstände machen und lehnte ab. Er begann mit der völlig ungeübten rechten Hand zu arbeiten, was ihm ziemliche Schwierigkeiten bereitete. Er aber biss die eigenen Zähne zusammen und fing sogar an, um seine rechte Hand besser zu üben, rechts zu schreiben. Er lebte noch bei seinen Eltern und der Mutter fiel auf, wie sich seine Persönlichkeit allmählich veränderte. Er wurde immer eigenartiger, fühlte sich zunehmend verfolgt, begann religiöse Wahnvorstellungen zu entwickeln und misstraute den ihm an sich nächsten Menschen immer mehr. Schließlich musste er zu einem Psychiater und bekam Medikamente. Seine Leistungen in der Ausbildung verschlechterten sich und die Mutter beobachtete, dass er immer fahriger, abwesender und unkonzentrierter wurde.

Eines Tages hatte er eine Reifenpanne auf der Autobahn und war beim Reifenwechsel etwas unvorsichtig, vielleicht auch so fahrig und ungeschickt wie zunehmend immer mehr, dass ihn ein Auto erfasste und ihm die Füße abtrennte. Sein Glück war, dass er schnell ins Krankenhaus kam und gerettet wurde.

Die verzweifelten Eltern besuchten ihn dort und stellten überrascht fest, dass die Wahnfantasien verschwunden waren.

Fazit: Offensichtlich hat die Überbelastung der nicht dominanten rechten Hand bei der überwiegend feinmotorisch und auf größte Genauigkeit bei der kleinteiligen Bearbeitung von Zahnersatzteilen ausgerichteten Berufsausbildung zu massiven ungewollten Belastungen im Gehirn von Herrn M. geführt und so Folgen wie bei einer Umschulung der Händigkeit zum Schreiben hervorgerufen, die er durch seine rechtshändigen Schreibübungen noch verstärkt hat. Das Auftreten von Wahnvorstellungen aus dem psychotischen Bereich ist nicht als primäre sondern als sekundäre Folge dieser Umschulung der Händigkeit zu interpretieren. Vermutlich lag eine Disposition dazu in der Familie vor. Es ist bekannt, dass psychotische Erscheinungen durch einen Schock beeinflussbar sein können (was man sich früher durch die in der Psychiatrie angewandten Elektroschocks zu Nutzen zu machen versuchte, um diese – heilende – Wirkung zu erzielen). In dem genannten Fall könnte der furchtbare Unfall auf der Autobahn so einen Schock verursacht haben, der die Psychose abgebaut hat.

Fallbericht: Auf Rechtshänder normierte Briefeinsortierung bei Postbeamten

Frau F. wendete sich verzweifelt an die Beratungsstelle für Linkshänder in München. Sie war Postbeamtin und durch Mobbing am Arbeitsplatz von Bürotätigkeit in die Briefträgerabteilung versetzt worden. Sie war Linkshänderin und schrieb auch links.

Auf das Sortieren der Briefe reagierte Frau F. mit zuvor nicht gekannten Konzentrationsausfällen und massiven Erschöpfungszuständen. Nur nebenbei beschwerte sie sich darüber, dass sie sich ziemlich oft an dem für rechtshändigen Gebrauch ausgerichteten Wagen, in dem sie die Postsendungen ausfuhr, die Finger einklemmte und quetschte. Schwierigkeiten bereiteten ihr das Sortieren der Post, die sie dann auszutragen hatte und die Auslese von Sendungen, die sie anderen Mitarbeitern ins Fach legen musste. Die Arbeit des Briefträgers beginnt früh morgens, wenn er die vorsortierte Post für seinen Bezirk bekommt und nach Straßen und Hausnummern getrennt in beschriftete schmale Fächer ablegen muss. Der Rechtshänder hält dann normalerweise links einen Stapel Post, ergreift mit der rechten Hand den Brief, liest die Adresse und sortiert den Brief in das jeweilige Fach. Dabei ist wichtig, dass die Adressenausrichtung im Fach richtig ist, so dass die Adresse nicht auf dem Kopf steht oder nicht alle Briefe in die gleiche Richtung einsortiert sind. Dann gibt es noch Sendungen, die in Fächer für andere Mitarbeiter gelegt werden müssen. Alles muss sehr schnell gehen, denn durch Langsamkeit verursachte längere Arbeitszeit wird nicht in Überstunden ausgeglichen. Wenn wenig Post ist, hat der Briefträger früher Feierabend, wenn viel Post da ist, eben später. Ein langsames Sortieren verursacht immer eine längere Arbeitszeit, die dann Sache des einzelnen Briefträgers ist, sich aber auch auf andere Mitarbeiter negativ auswirken kann.

Frau F. wurde das Briefsortieren auf die für Rechtshänder typische Art gezeigt. Das führte dazu, dass sie mit der ungeübten rechten Hand alle Post in die Fächer sortieren musste. Sie nahm den einzelnen Brief also in die rechte Hand, las die Adresse und legte ihn in das entsprechende Fach. Die ganze Sache lief unter großem Stress und Druck für sie ab. Die rechte Hand wurde für eine Tätigkeit herangezogen in Verbindung mit dem Lesen der Adresse, die Frau F. nicht gewohnt war und sie stand bald am Rande ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Da man aber versuchte, sie als Beamtin zur Kündigung zu bewegen, nahm sie alle Kräfte zusammen und versuchte äußerst korrekt ihre Aufgaben zu erfüllen.

Wir holten uns Informationen von einer Linkshänderin, die im Münchner Bereich Briefe austrug. Der Arbeitsplatz zum Sortieren der Briefe war bei ihr ebenso angeordnet wie bei Frau F. Aber sie hatte ihren eigenen Weg gefunden, linkshändig und schnell ihre Briefe zu sortieren. Sie setzte sich über die vorgegebene Richtung, wie die Briefe in die Fächer gelegt werden sollten, hinweg, nahm den Briefpacken in die rechte Hand und legte mit links einfach die Briefe ab. Jetzt standen die Briefe zwar umgekehrt in den Fächern, aber sie nahm sie so wieder heraus, dass sie in der richtigen Reihenfolge ihrer Straße in der Tasche zu liegen kamen. Einzig mit den für andere abzulegenden Briefen kam es manchmal zu Irritationen, denn sie legte sie auch umgekehrt ab und die Mitarbeiter schimpften in freundlichem Ton über die Linkshänderin, die den gewohnten Arbeitsablauf etwas störte. Aber niemand machte daraus ein Drama.

Fazit: Die linkshändige Frau F. hat überkorrekt versucht, sich an für Rechtshänder orientierte Abläufe anzupassen. Der Zeitdruck und die Tatsache, dass es nicht nur ums Einsortieren sondern auch um den Vorgang des Lesens der Adressen ging, führten wohl zu ersten Manifestationen einer Umschulung der Händigkeit. Hätte sie von Anfang an ihrer Händigkeit entsprechend die Abläufe des Einsortierens vorgenommen und so den Handlungsablauf automatisiert, wäre es sicher nicht zu solchen Schwierigkeiten gekommen. Aber sie wollte übergenau sein und hat die Gefahren weder gekannt noch einschätzen können.
Schlussfolgerung

Umschulungsfolgen der Händigkeit sind also nicht nur beim Schreiben mit der nicht dominanten Hand zu erwarten, sondern auch bei anderen Tätigkeiten, die vor allem unter Stress, Leistungsdruck und mit feinmotorischen Anforderungen auf einem hohen Niveau durchgeführt werden müssen. Wenn es dann noch zum gleichzeitigen Verarbeiten von Schriftzeichen oder auch Noten kommt, die ja auch oft noch mit Text verbunden sind, wird die Wahrscheinlichkeit einer Überbelastung des Gehirns und die Gefahr von Umschulungsfolgen umso größer.

Die vorausgehenden Überlegungen und Fallbeispiele sind sehr wichtig, um sich Klarheit über die Frage zu verschaffen, welche Tätigkeiten bei umgeschulter Linkshändigkeit notwendig sind zurückzuschulen und welche Tätigkeiten ohne Gefahr von negativen Konsequenzen weiter mit der nicht dominanten Hand ausgeführt werden können oder sogar müssen.

Welche Tätigkeiten eignen sich für eine Rückschulung auf die dominante Hand?

Die Funktion automatisierter Handlungsabläufe

Im Laufe unseres Lebens lernen wir viele Handlungsabläufe und speichern sie als Automatismen ab. So lernen wir greifen, laufen, hüpfen, wir verrichten die Hausarbeit nach bestimmten, ähnlichen bis fast gleichen Mustern und auch im Beruf vollziehen wir viele Tätigkeiten, ohne genauer auf die einzelnen Abläufe zu achten. Sie verlaufen automatisch und wir sind dadurch fähig, gleichzeitig andere Dinge zu verrichten, ohne dass dabei die eingeübten Abläufe nennenswert gestört würden. Man denke an den Abwasch zu Hause, an das Abtrocknen und Wegräumen des Geschirrs, das sind normalerweise so automatisiert ablaufende Tätigkeiten, dass man nebenher über ganz andere Themen sprechen, Pläne schmieden und Ähnliches machen kann. Auch während dem Essen, dem Treppensteigen, dem Spazierengehen, müssen wir nicht dauernd über jede Bewegung, jedes Heben und Verschieben eines Körperteils nachdenken, sondern alles verläuft wie von selbst.

Diese automatischen Handlungsabläufe sind vernetzt in unserem Gehirn, ähnlich wie in einem Computer abgespeichert und wir brauchen über sie nicht jedesmal neu nachzudenken und sie neu in Bewegungen umzusetzen.

Automatisierte Handlungen mit der nicht dominanten Hand

Manche linkshändige Menschen führen bestimmte Bewegungen aus verschiedenen Gründen mit der nicht dominanten Hand aus. Ursachen können sein: Umschulung der Händigkeit durch die Umwelt oder durch Modell- und Nachahmungsverhalten gegenüber einer rechtshändigen Umgebung oder auch Defizite der Feinmotorik oder Koordination gerade in der linken eigentlich dominanten Hand.

So wurde zum Beispiel früher vielen linkshändigen Kindern beigebracht, mit der rechten Hand zu essen, die Gabel, den Löffel, das Messer zu halten, weil das „richtig“ oder „normal“ sei und weil es sich „so gehöre“.

Viele Linkshänder benutzen auch die rechte Hand zum Schneiden, da sie herausgefunden haben, dass auf rechtshändigen Gebrauch ausgelegte Scheren besser in der rechten Hand funktionieren. Dies trifft besonders auf Kinderscheren zu, die noch nicht so scharf geschliffen sind und bei denen durch falsche Druckverhältnisse das Papier sehr leicht durchrutscht. In der rechten Hand schneiden diese Scheren besser und so üben viele linkshändige Kinder von Anfang an das Schneiden mit der nicht dominanten rechten Hand ein und es automatisiert sich als Bewegungsablauf.

Auch im Sport bemühen sich manche Linkshänder redlich, mit rechts zu werfen, den Ballaufschlag im Volleyball mit rechts auszuführen oder den Golfschläger wie ein Rechtshänder zu benutzen. Auch diese Handlungsabläufe werden dadurch fest eingeübt und verlaufen mehr oder weniger automatisch und man kann sie nicht einfach umkehren. Erschwerend kommt hinzu, dass oft unbemerkt damit andere wichtige Abläufe einhergehen, die gleichermaßen umgestellt werden müssten und deren man sich noch viel weniger bewusst ist, geschweige denn, dass man sie gleichzeitig auch noch kontrollieren und leicht neu erlernen kann.

Der relativ komplizierte Ablauf des Schneidens mit der Schere

Besonders typisch in Bezug auf mehrere gleichzeitig automatisierte Abläufe ist der Gebrauch der Schere: Linkshänder, die mit einer Rechtshänderschere in der linken Hand zu schneiden gewohnt sind, erklären oft, dass sie mit einer Linkshänderschere nicht zurechtkämen. Sie beachten dabei nicht, dass auch das Auge beim Schneiden eine wichtige Funktion erfüllt und man automatisch auf eine bestimmte Seite der Schneideblätter schaut, um die Schnittlinie zu sehen. Benutzt man nun eine Linkshänderschere in der linken Hand, müsste von der anderen Seite der Schneidblätter auf die Schnittlinie geschaut werden. Das ist dem Linkshänder meist aber nicht bewusst und selbst wenn er es weiß, müsste er eine gewisse Zeitspanne beim Schneiden immer daran denken und bewusst auf die andere, nicht gewohnte Seite schauen. Sobald das aber vergessen wird, beobachtet man automatisch wieder die alte, eingeübte Seite und schneidet daneben.

Darauf, dass auch das abgeschnittene Papier ganz anders als gewohnt entlang der Schneideblätter geführt wird, wurde hier noch gar nicht eingegangen (4).

Noch skurriler kann das Schneiden von Suppenfleisch ablaufen: So lange das Fleisch heiß ist und eine Gabel zum Halten des Fleisches benutzt wird, hält manch „ordentlich erzogener“ Linkshänder die Gabel 1) links und das Messer rechts, ist das Fleisch aber abgekühlt, wechselt das Messer plötzlich in die linke Hand und die rechte Hand hält das Fleisch fest. Interessanterweise handelt es sich hier oft um zwei verschiedene, fest automatisierte Abläufe bei ein und demselben Linkshänder. Eine bewusste Änderung der jeweils schneidenden Hand könnte eine große Verletzungsgefahr in sich bergen bzw. zumindest eine weit höhere Aufmerksamkeit erfordern.

Resümee

Macht es Sinn, möglichst viele bis ausschließlich alle tagtäglichen Tätigkeiten mit der dominanten Hand durchzuführen? Das heißt, soll man hier alles bewußt zurückschulen?

Das Aufbrechen von fest eingeübten Automatismen kann, der Erfahrung nach, verschiedene negative Folgen hervorrufen. Das bedeutet, eine Änderung dieser Handlungsabläufe ist nicht nur anstrengend, sondern manchmal auch gefährlich und es stellt sich die Frage, warum man eine auf die „falsche“ (die nicht dominante) Hand eingeübte Tätigkeiten unbedingt ändern soll, wenn kein wirklicher Grund dazu gegeben zu sein scheint?

Automatisierte Tätigkeiten, die von der nicht dominanten Hand führend ausgeführt werden und die auf der einen Seite nicht sonderlich im Mittelpunkt unseres tagtäglichen Handelns stehen und andererseits nicht in ein komplexes Handlungsgeschehen mit gleichzeitigen intellektuellen Belastungen einbezogen sind und uns dadurch sehr belasten, sollten im Normalfall lieber wie gewohnt beibehalten werden.

Eine Änderung von eingeübten Automatismen sollte aber dann in Erwägung gezogen werden, wenn diese Handlungsabläufe mit derartigen anderen Tätigkeiten in Verbindung stehen, dass es zu einer starken Überbelastung mit ausgesprochen negativen Folgen kommt, wie es oft beim Schreiben geschieht. Ähnliches traf auch auf das oben beschriebene Fallbeispiel zu („Schlagzeug falsch herum gespielt“). Hier bewirken gleichzeitig durchgeführte intellektuelle Tätigkeiten, dass es durch die Benutzung der nicht dominanten Hand als Führungshand zu einer massiven Überbelastung im Gehirn kam.

Eine Rückschulung der Händigkeit ist also vornehmlich für solche Handlungen in Erwägung zu ziehen, die besonders stark den Körper und das Gehirn beanspruchen. Hier sind auch die größten Entlastungen im Gehirn zu erwarten, aber gleichzeitig auch die größten Gefahren, dass es zur unerwünschten Destabilisierung kommt.

Ein Beispiel als Analogie: Schlecht zusammengewachsene Knochen nach einer Fraktur können durch einen erneuten Bruch und eine erneute Einschienung durch den Chirurgen sowohl ein erfolgreiches Zusammenwachsen bewirken, als auch ein noch schlimmeres Ergebnis als zuvor. Vielleicht entwickelt sich sogar ein Sudeck-Syndrom und somit ein ganz neues Krankheitsbild. Ähnliche Ergebnisse können auch einer Rückschulung auf die dominante Hand folgen, die ein erneuter Eingriff in das menschliche Gehirn bedeutet und von der wir nicht sicher ein besseres Allgemeinbefinden voraussagen können.

Hier ist größte Vorsicht geboten und es sollte genügend Zeit vorhanden sein, um die neuen Handlungsabläufe, mit allen dazu gehörenden anderen Automatismen und möglichen gleichzeitig verlaufenden intellektuellen Belastungen gewissenhaft einzuüben.

Ganz anders verhält es sich mit neuen Tätigkeitsabläufen. Hier kann es sehr hilfreich sein, als Führungshand die dominante Hand von Anfang an einzusetzen, auch wenn der betreffende Mensch ansonsten mehr oder weniger konsequent auf rechts umgeschult wurde.

Bestimmte Tätigkeiten von der nicht dominanten auf die dominante Hand umzustellen kann allerdings bei dem einen oder anderen umgeschulten Linkshänder als gezielte Vorbereitung zu einer Rückschulung der Schreibhand sinnvoll sein, aber dabei ist es sehr wesentlich zu beachten, wie belastet der jeweilige Mensch durch sein tagtägliches Leben ist und ob das nicht zu einer weiteren Überforderung führt.

Als Vorbereitung für eine Rückschulung der Händigkeit ist es also generell ratsam, möglichst solche Tätigkeiten zu benutzen, die für den umgeschulten Linkshänder neu sind und die auch indirekt eine Vorbereitung auf die Tätigkeit darstellen, die man rückzuschulen beabsichtigt.

Praktische Hinweise zum Vorgehen bei einer Rückschulung der Händigkeit

In den letzten Jahren hat es sich immer mehr bestätigt, dass fast jeder, der die Umschulungsproblematik der Händigkeit bzw. deren Folgen bei sich feststellte, sofort auch das Bedürfnis hatte, das erlittene Leid, die erlittene Beschädigung wieder gut zu machen, indem er sich auf seine ursprünglich dominante linke Hand zurückschult.

Hinzu kommt dann meist eine hohe Erwartungshaltung durch diese Maßnahme eigene Leistungsschwierigkeiten auszugleichen oder die intellektuellen Fähigkeiten sogar noch zu verbessern.

Die Rücksichtnahme auf die eigene Lebenssituation wurde in den Buch „Der umgeschulte Linkshänder“ ausführlich betont (5) .

Hat sich jemand nun aber entschlossen, das vermeintliche bzw. tatsächliche Unrecht der Umschulung der Händigkeit wieder rückgängig zu machen, sind einige Problembereiche zu beachten. Die folgenden Tips sollen als Hilfestellung betrachtet werden (6):

  1. Interessanterweise zeigt sich in der Praxis immer mehr die Richtigkeit der Beobachtung, dass ein großer Anteil der Menschen, bei denen eine Umschulung der Händigkeit im Kindesalter relativ leicht vor sich ging (was durch gleichzeitige Teilleistungsstörungen (MCD) insbesondere in der Feinmotorik begründet werden kann), sich auch leichter im Erwachsenenalter wieder rückschulen lässt.

Anders ist das mit Menschen, bei denen im Kindesalter parallel zur Umschulung der Händigkeit stärkere Probleme im schulischen, intellektuellen Bereich auftraten. Sie haben als Erwachsene meist bei der Rückschulung auch wieder verstärkt Probleme.

  1. Veranlagung (Dispositionen) zu Krankheiten, also Schwachstellen der Gesundheit, können bei der Rückschulung der Händigkeit besonders zur Geltung kommen. Durch die zusätzliche Belastung der Rückschulung können dispositionell veranlagte Krankheiten plötzlich ausbrechen.
  2. Schon aus den genannten Gründen wäre eine therapeutische Begleitung der Rückschulung sehr vorteilhaft. Findet sich aber kein geeigneter Psychotherapeut, so kann die Funktion des „Überwachers“ (also eines Fremdbeobachters, der objektiv die Veränderungen wahrnimmt – hier kann die subjektive Wahrnehmung des sich Rückschulenden irreführend sein) darüber, dass die Umschulung nicht zu massiv, zu „konsequent“ durchgeführt und eine übermäßige Belastung hervorgerufen wird, auch der Partner, ein guter Freund oder Vertrauter übernehmen. Derjenige sollte sozusagen das Recht haben, ein Veto einzulegen, wenn er bemerkt, dass sich der Rückschulende zu viel vornimmt und kein Maß mehr für seine Leistungsfähigkeit aufbringt und den Überblick verliert.
  3. Besonders wichtig ist, dass der sich Rückschulende regelmäßig Erholungsphasen in seinen Lebensablauf einbaut und diese auch einhält. Viele Menschen betreiben Sport (zum Spaß und zur Bewegung) oder gehen regelmäßig in die Sauna. Solche, möglichst wöchentlich eingeschobenen und eingehaltenen Ruhepausen für das Gehirn sind dringend zu empfehlen. Ein ausgiebiger Erholungsurlaub ist natürlich auch sinnvoll, aber insgesamt ist jede regelmäßig wiederkehrende Ausspannungszeit, in der sich der Mensch intellektuell ausruhen darf und sogar muss, äußerst wichtig.

Oft beobachten wir bei Rückschulungen der Händigkeit einen Zusammenbruch gerade dann, wenn aus irgendwelchen Gründen diese, wenn auch nur für ein paar Stunden wöchentlich angesetzte Ruhepause nicht mehr eingehalten wird. Es ist keine verschwendete Zeit!

  1. Regelmäßige Nachspurübungen in einer lockeren Schreibhaltung sind auch dann noch zu empfehlen, wenn der sich Rückschulende schon mit der linken Hand schreibt (beides findet man im Buch „Übungen für Linkshänder. Schreiben und Hantieren mit links“). So wird die Fingerfertigkeit der Hand weiter geübt, ohne zwangsweise das Gehirn mit den gelernten und auf der rechten Hand automatisierten Buchstaben und Worten zu belasten. Die Nachspurübungen sind quasi neutral, bauen aber neue Geschicklichkeiten und Automatismen auf, ohne dabei gleichzeitig die früher gelernten Automatismen des Schreibens mit der rechten Hand zu stören.
  2. Wenn der sich Rückschulende einmal soweit ist, dass es ihm gelingt, für den Alltagsgebrauch schnell genug mit der linken Hand zu schreiben, sollte er möglichst nicht mehr auf die rechte Hand zurückwechseln.

Die häufig zunächst auftretende kindliche Handschrift, die viele als sehr störend empfinden, sollte kein Hinderungsgrund sein. Sie ist doch auch Ausdruck dafür, dass man sich für die linke Hand entschieden hat. Psychisch kann es sehr wichtig sein, zu dieser Entscheidung auch nach außen hin mit einer noch etwas ungelenkten Schrift zu stehen, um alte, oft verdrängte Vorurteile in sich selbst hervorzuholen und zu überwinden.

  1. Bevor man mit der linken Hand zu schreiben beginnt, kann es parallel mit den Nachspurübungen sehr sinnvoll sein andere Tätigkeiten wie z.B. im Haushalt, auf die linke Hand zurückzuschulen. Aber Vorsicht, auch hier können anders eingeübte, automatisierte Handlungsabläufe sehr beeinträchtigend wirken. Jeder sollte für sich selbst entscheiden, ob er z.B. beginnt das Geschirr mit der linken Hand abzuwaschen oder mit links zu nähen.

Sehr wichtig ist die Erfahrung, dass es am günstigsten ist, neue, noch nicht automatisierte Tätigkeiten mit links durchzuführen und zu üben, Tätigkeiten also, die man gleich mit der linken Hand auszuführen beginnt. Wenn man sich z.B. entschließt ein neues Instrument zu erlernen, mit einem neuen Werkzeug zu arbeiten, einer neuen Sportart nachzugehen, können diese Tätigkeiten, mit der linken Hand als Führungshand durchgeführt, weit hilfreicher und effektiver sein, als wenn schon fest eingeübte Handlungsabläufe durchbrochen werden.

Gerade auch Erwachsenen ist zu empfehlen mit Ton, Matrix oder Wachs zu kneten, um die Finger- und Handfertigkeiten zu üben und zu stärken. Sogar ein richtig durchgekneteter Hefeteig macht Spaß und ist nützlich. Auch das Malen mit Fingerfarben kann viel Freude bereiten und hilfreich sein.

Wirksam helfen kann das allgemein großflächige und dann immer kleiner werdende Malen von Formen. Zunächst kann man das auch mit Wachsmalkreiden oder Tafelkreiden durchführen und später immer kleinere Formen malen. Farbige Schraffierungen geben Freude, machen Spaß und üben die Hand. Wichtig ist dabei von großen Bewegungen, die aus dem Arm heraus kommen, zu immer kleiner werdenden Bewegungen überzugehen, bis sich am Ende nur noch die Finger bewegen.

Spaß machen auch die Fingerbewegungen von Hauke Stehn nach Musik (die CD und das Buch „Hilfe für das schreibauffällige Kind“ sind zu beziehen bei LAFÜLIKI, Tel. 05725 / 59 50). Diese sind zwar eher für Kinder gedacht, machen aber Erwachsenen Freude und üben die Finger.

 

Literatur:

1) Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift „Left Hand Corner“ (Ausgabe Nr. 06 01-1999, S. 10-20, Nr. 07 04-1999, S. 24-29 und Nr. 09 10-1999, S. 12-16). Es handelt sich um Auszüge aus dem Buch „Rückschulung der Händigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Chancen und Gefahren für Linkshänder und Rechtshänder“ von Dr. Johanna Barbara Sattler, dessen Herausgabe für das Jahr 2001 vorgesehen ist.

2) Lösel, Friedrich, T. Bliesener, „Resilience in adolescense: A study on the generalizability of protective factors“. In: K. Hurrelmann, F. Lösel (Eds.), Health hazards in adolescense (pp. 299-320). De Gruyter, Berlin, 1990. Nuber, Ursula, Der Mythos vom frühen Trauma. Über Macht und Einfluss der Kindheit. S. Fischer Verlag,Frankfurt/Main, 1995. Besonders Kapitel III: Das neue Bild der Kindheit. Frühe Erfahrungen müssen nicht Schicksal sein, S. 74ff.

3) Genaueres zu Umschulungsfolgen siehe: Sattler, Johanna Barbara, Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag, Donauwörth 1995, 2015 (13). Kapitel 2.

4) Siehe auch: Sattler, Johanna Barbara, Übungen für Linkshänder. Schreiben und Hantieren mit links. Auer Verlag, Donauwörth, 1996, 2015 (12), S. 71ff.

5) Siehe Kapitel 7, S. 143-241.

6) Siehe auch Hinweise im Buch „Der umgeschulte Linkshänder“ in Kapitel 7.7: Praktische Tips für eine Rückschulung auf die dominante Hand, S. 240 f.
© Copyright: Dr. Johanna Barbara Sattler, Leiterin der Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, Sendlinger Str. 17, 80331 München, Tel. / Fax: +49 / 89 / 26 86 14, https://www.linkshaender-beratung.de, e-mail: info@lefthander-consulting.org