Links vorbeitherapiert

Umgeschulte Linkshänder  –  Leser fragen Experten

Johanna Barbara Sattler

Ein Leser, der sich selbst als Fall von Pseudorechtshändigkeit einstuft, fragte: Ist es sinnvoll oder aber gefährlich, einen umgeschulten Linkshänder wieder umzuerziehen, von „rechts“ nach „links“ also? Wo finde ich Rat?

Um negative Folgen einer Umschulung der Händigkeit – Gedächtnis-, Konzentrations- und Leistungsstörungen, Sprachschwierigkeiten bis zum Stottern sowie motorische Störungen – zu eliminieren bzw. zu lindern, reicht eine rein mechanische Rückschulung nicht aus.

Zwar hat die Wiederbenutzung der ursprünglich dominanten Hand in uns bekannten Fällen zum Rückgang mancher Symptome geführt, ersetzt aber keine gezielte therapeutische Behandlung und ist in vielen Fällen weder praktikabel noch empfehlenswert.

In Berufen, in denen viel Schreibarbeit zu bewältigen ist, liegt die Leistung der ursprünglich dominanten linken Hand bezüglich Ausdruck und Schnelligkeit der Schrift meist weit unter dem erforderlichen Niveau und entspricht etwa den Fähigkeiten eines Zweitklässlers. Schwierigkeiten entstehen auch bei Berufen, die bestimmte handwerkliche Abläufe erfordern. Dort handelt es sich oft um Geschicklichkeitsmechanismen, die so eingeprägt sind, dass es bei Umstellung ohne fachliche Hilfe zu neuen Störungen und Fehlhandlungen kommen kann.

Anders ist es mit den psychischen Folgeerscheinungen bei der falschen Verarbeitung von Umschulungsfolgen.

Gemeint sind z.B. Ängste, Minderwertigkeitsgefühle, Vermeidungsreaktionen, Hemmungen, Rückzugstendenzen und Depressionen. Hier ist es in schwierigen Fällen empfehlenswert, einen mit der Materie vertrauten Psychotherapeuten heranzuziehen. Pseudorechtshändigkeit zu diagnostizieren ist manchmal sehr schwer und benötigt eine entsprechende Ausbildung des Therapeuten. Das betrifft besonders die verdrängten, nicht offensichtlichen Umschulungsfälle, wo keine Erinnerung mehr an die Umstellung vorhanden ist. Diese lässt sich mit den von uns entwickelten Methoden relativ zuverlässig feststellen (von der ONRS = Organization for Neutral Research and Science). Welche schwerwiegenden Folgen eine Umschulung der Händigkeit haben kann und wie wichtig es für einen Psychotherapeuten ist, die entsprechende differenzialdiagnostische Methodik handhaben zu können, um kausale Zusammenhänge in den beobachteten Störungen richtig einzuordnen, möchte ich an einem Fallbeispiel aufzeichnen (siehe Fallbericht am Ende).

In diesem und vielen anderen Fällen wurde über eine längere Zeitspanne „vorbeitherapiert“, da man die verschiedensten, rein psychischen Ursachen bei den Patienten vermutet hatte, nicht dagegen eine somatische Störung der Hirnprozesse, also eine Behinderung durch Umschulung der Händigkeit.

In der ONRS-Akademie werden Weiterbildungsveranstaltungen für Psychotherapeuten und Ärzte zur Behandlung von Pseudorechtshändern angeboten, und im ONRS-Institut für Psychotherapie, klinische Hypnose und angewandte Psychosomatik werden Verbindungen zwischen Umschulung der Händigkeit und neurotischen Verarbeitungsprozessen untersucht.

Inzwischen wurde auch eine kostenlose Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder eingerichtet, die von der Stadt München gefördert wird und auch Selbsthilfegruppen organisiert. In der deutschen Brain-Breaking-Hilfe haben sich Behandler (Ärzte, Psychologen und Pädagogen) organisiert. (Zum Thema Linkshändigkeit s. auch Münch. Med. Wschr. 128 [1986] 8, S. 28, und 128 [1986] 47, S. 12).

 

Fallbericht: Gelähmte Einserschülerin

Ingrid F. (24) kam halbseitig gelähmt in die psychotherapeutische Behandlung. Sie wurde während ihrer Schulzeit als Einserschülerin ausgezeichnet und bekam nach einem hervorragenden Abitur von ihrem Vater eine Reise in die USA als Belohnung geschenkt. Dort kam es zu einem Autounfall, ihre rechte Körperseite war gelähmt, und die Patientin begann, sich auf links umzustellen. Das betraf hauptsächlich das Schreiben, weil sie sich vorgenommen hatte, Literatur zu studieren und Übersetzerin zu werden. Mit Zielstrebigkeit ohnegleichen schulte sie sich selbst auf die linke Hand um.

Nach einem halben Jahr Bemühungen bekam sie große Probleme mit ihrem Gedächtnis, die sich progressiv entwickelten. Sie konnte den Stoff nicht behalten, hatte Konzentrationsschwierigkeiten und konnte vor allem das Gelernte nicht reproduzieren. Nach einem weiteren halben Jahr begann sie sogar zu stottern. Es wurde der Verdacht auf eine Hirnverletzung geäußert, die Patientin wurde mehrmals gründlich untersucht, aber ohne jeglichen Befund. Die Ursache wurde dann auf psychische Prozesse zurückgeführt.

Sie bekam Minderwertigkeitskomplexe (sie konnte sich auf das Beste, was sie hatte, – ihr Denken – nicht mehr verlassen) und unternahm einen Suizidversuch. Nach diesem stellte sich heraus, dass die Lähmung nachließ. Sie konnte sich wieder bewegen und schrieb wieder mit der rechten Hand. Heute, drei Jahre später, studiert sie mit Erfolg, ihr Stottern ist verschwunden und ihre Gedächtnisprobleme auch.

Interessant war: Die Patientin ist Rechtshänderin, im Zuge der Lähmung wurde sie auf die linke Hand umgeschult, nach Aufhebung der Lähmung wurde sie wieder zur Rechtshänderin.

 

Münchener Medizinische Wochenschrift, 129 (1987), Heft 14, 3.4.1987

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Dr. Johanna Barbara Sattler, ONRS, Sendlinger Str. 18, [inzwischen umnummeriert: Nr. 17], 80331 München, Tel. 089 / 26 86 14
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